Lautlose Jägerin - Tarnung, Geduld & Verrat der Affen

Neun Jahre sind vergangen, seit wir zuletzt den erdigen Duft des South Luangwa eingeatmet haben, seit der Park sich still und beinahe heimlich in unser Herz geschlichen hat. Über die Jahre wuchs eine leise, beständige Sehnsucht – eine Sehnsucht, die wir lange kaum bemerkten. Bis wir schliesslich entschieden: Es ist Zeit für ein Revival. Die Vorfreude auf unser Sambia-Abenteuer war riesig – und mit ihr, leise wie ein Schatten, auch die Erwartung. Statt ständig von Camp zu Camp zu ziehen, entschieden wir uns für Ruhe, für Ankommen, für Durchatmen – ein bewusster Schritt gegen FOMO, gegen das ständige Gefühl, etwas zu verpassen. Deshalb buchten wir nur zwei Camps, jeweils für fünf Nächte. Wir wollten den Busch in seiner ganzen Tiefe erleben – nicht hetzen, sondern ganz eintauchen.

So begann unser erstes Kapitel im Nkwali Camp – einem Ort mit Herz, der uns schon von früheren Reisen vertraut war. Camp Manager Kiki empfing uns mit derselben Herzlichkeit wie damals, und sofort breitete sich dieses vertraute, wohlige Gefühl aus, als hätten wir Nkwali nie verlassen. Es war ein bisschen wie Heimkommen, nur dass dieses Zuhause nach warmer Erde, nach dem würzigen Duft von brennendem Holz und nach dem unverwechselbaren Atem der Wildnis roch – eine leise Sinfonie aus Freiheit, Leben und Überraschung. Morgens um 04:30 Uhr verliessen wir das Camp – lange vor den anderen Gästen – überrascht über uns selbst, aber voller Freude über jeden gewonnenen Minuten-Vorsprung vor dem Erwachen des Tages. Der kalte Morgenwind strich uns ins Gesicht, während die Geräusche und Gerüche der Dunkelheit den Busch langsam zum Leben erweckten: ferne Tierrufe, das Rascheln von trockenem Gras und der leicht schlammige Geruch des verbleibenden Flusswassers. Der Luangwa stand so niedrig wie seit Jahren nicht mehr. Die geplante Bootsfahrt fiel sprichwörtlich ins Wasser – doch im gleichen Moment öffnete sich eine neue Möglichkeit: Wir rollten mit dem Jeep durchs fast trockene Flussbett, durchzogen von den ersten kühlen Adern des Tages, während das Licht langsam die Konturen der Ebene zeichnete. Wir waren bereit für alles, was der Busch offenbarte – denn er überrascht am liebsten dort, wo man es nicht erwartet. Und doch trugen wir diesen besonderen Funken Hoffnung in uns: auf Leoparden und Wildhunde im goldenen Licht.

Die Wildhunde hatten ihren Bau vor zwei Wochen verlassen – und seitdem waren sie spurlos verschwunden. Auch die Leoparden schienen ein Spiel mit uns zu treiben, stets präsent und doch unsichtbar. Die ersten beiden Tage verliefen ruhig. Viel Staub, viel Stille, flüchtige Schatten im Gras – mehr Ahnung als Begegnung. Wir übten uns in Geduld, legten lange Strecken durch den Busch zurück, während die Mittagssonne unbeirrbar auf uns niederbrannte, und tauschten unterwegs Beobachtungen und Hinweise mit anderen Guides aus. Zweifel schlichen sich ein, sofort und unvermittelt. Doch Zweifel gehören zum Busch wie Hitze und Staub – man trägt sie mit sich, bis der Moment sie wegfegt. Und dann, fast wider Erwarten: Wildhunde. Ein Vormittag, der sich wie Kaugummi dehnte, ein Mittagessen, das kurzerhand gestrichen und später direkt in den Busch geliefert wurde – wo, bitteschön, bekommt man sonst solchen Luxus? Über zwanzig Hunde, zehn Jungtiere. Sie ruhten träge, warteten auf die kühleren Temperaturen. Erst bei einbrechender Dämmerung kehrte Leben zurück in die vorher so trägen Tiere – als das Licht schon grenzwertig war, aber die Aufregung dafür umso grösser. Die Geier taten sich am Hundekot gütlich, sehr zum Ärger der kleinen Wildhunde. Ein wilder Sprint, spielerische Jagden, ein Rudel in jugendlicher Aufregung. Ein Bild von Leben. Ein Bild von Afrika. Ein wildes, wunderschönes Chaos.

Dann begann der wahre Zauber: ein Leopard im Baum, während unter ihm ein Hippo graste. Leoparden auf Streifzug, Leoparden im Schatten, zwei junge Leoparden von vier bis sechs Monaten, tapsig zwischen Mut und Unsicherheit. Doch eine Begegnung brannte sich besonders in die Seele: Eine Leopardin auf der Jagd. Die Erde war braun, das Laub beige – sie darin nahezu unsichtbar. Ein Schatten, der lebte. Ein Atemzug, der sich bewegte. 20 Minuten schlich sie sich heran. Geduldig, konzentriert – und doch mit kleinen Momenten des Abschweifens, wie ein Künstler, der kurz aufblickt, ehe er weiterpinselt. Und als der Moment da war, in dem alles hätte passieren können, verrieten sie die Affen im Baum. Ein Ruf, ein Aufschrecken – und die Jagd löste sich auf wie Staub im Wind. Für die Leopardin war es Pech, für die Pukus Glück – für uns jedoch ein Geschenk, das weit über den Augenblick hinauswirkte.

Im Lion Camp wurde unser Ankommen auf die Probe gestellt. Eine über einstündige Einweisung, vorgetragen von einer Dame, die sichtlich bemüht war, ihre Bedeutung in der Lodge zu betonen. Ein seltsamer Auftakt, zäh wie trockene Hitze. Die Zimmer jedoch waren ein Traum: Grosszügig, mit Zeltplanen und umlaufenden Moskitonetzen, eine Mischung aus Natur und Komfort. Das Wasser trinkbar direkt aus dem Hahn – welch seltene Wohltat! Und das Cooling System über dem Bett, eine Art Busch-Klimaanlage, war schlicht grandios. Das Treffen mit dem Guide hingegen irritierte erneut. Er arbeite nur acht Stunden am Tag – wie bitte? Nach fünfzehn-Stunden-Tagen im Nkwali Camp fühlte sich das an wie ein Stopp-Schild auf der Autobahn. Die Region sei so produktiv, hiess es, lange Drives seien nicht nötig. Wir zweifelten kaum merklich – entschieden uns dann aber, es als Chance zu sehen. Und siehe da: Die Safaris waren tatsächlich wunderbar und die Stunde extra Schlaf ein Segen. Leoparden beim Trinken, beim Klettern, in Bewegung. Ein Löwenrudel im goldenen Licht und bei der Jagd auf ein Baby-Puku. Erfolg und Tod lagen schlussendlich nur 1 Meter auseinander – spektakulär! Auch brüllende Löwen, die ihr Revier über weite Distanzen absteckten, durften wir begleiten.

Gleichzeitig wurde die Reise für uns auch fotografisch zu einer Bühne für Neues. Wir übten uns in Low Key, spielten mit Konturen und Dunkelheit. Silhouetten wuchsen in den Himmel, Tiere wurden zu Formen, der Busch zur Kulisse. Das Spiel mit dem Nichts, das am Ende doch alles zeigt. Und es entstanden Fotos, die weniger zeigten – und gerade deshalb mehr sagten.

Mit der Zeit tauten wir auch mit unserem Guide auf – und aus einem holprigen Beginn wurde eine erfüllende Safari. South Luangwa – du hast wieder geliefert. Mit Kraft, mit Eleganz, mit Geschichten. Und so endete unser Sambia Revival dort, wo die Sehnsucht begann: Mit offenen Herzen. Mit staubigen Hosen. Mit der tiefen Gewissheit, dass dieser Park uns immer wieder rufen wird.

„Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben.“ – Kurt Tucholsky

Und vielleicht ist South Luangwa genau das: Ein Ort, an dem das Leben ein wenig lauter schlägt. Und die Stille ein wenig tiefer spricht.

 

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Kleine Schritte in die grosse Welt